Zum Tod von John Mayall
J.B. Lenoir is dead and it´s hit me like hammer blow
I cry inside my heart that the world can hear my man no more
So hat John Mayall einst zum Tode des Bluessängers und Politbarden J.B. Lenoir gesungen. Die Worte mit seinem Namen eingesetzt sind auch das was man heute zum Tod von John Mayall sagen kann.
Er war einer der ganz großen im Blues und er hat mich bisher durch mein Leben begleitet und ist jetzt nur noch auf Tonträger da.
Die erste Platte sogenannter progressiver Musik, die ich mir fast noch als Kind, lange bevor ich auf Live-Konzerte durfte, kaufte war eine John Mayall-Compilation herausgegeben von der Mädchenzeitschrift Freundin.
Die hatten auch eine Dylan-Compilation im Angebot und beide waren preislich deutlich unter den damals für eine LP üblichen 19,98 DM.
Ich habe mich für John Mayall entschieden und lernte Musiker wie Peter Green, John Hisemann, Mick Taylor, Mick Fleetwood und natürlich Eric Clapton in ihrem Spiel kennen. So ähnlich stelle ich mir heute noch die himmlischen Chöre und Kapellen im Paradies vor.
Einige der Musiker in der Reihe singen und spielen zusammen mit Garry Moore, der später auch mit John Mayall zusammenarbeitete, schon jetzt im himmlischen Klangkörper. John Mayall kann jetzt die Stelle als Bandleader übernehmen.
Hier unten fehlt uns John Mayall jetzt und ein letzter Gruß geht nach wunderbaren 90 Jahren an ihn wo immer er sein mag.
RIP John!
Uwe Saßmannshausen 24.7.24
Damo Suzuki ist tot!
Anfang der 70ziger Jahre hatte ich ein Erweckungserlebnis. Ich was als Teenager auf meinem ersten richtigen Rockkonzert, nicht so ein Zeug wo der Gitarrist aus der Parallelklasse mit einigen anderen Jungs im Jugendzentrum aufspielte, sondern Profimusik in einer richtigen Halle, konkret im Eltzer Hof in Mainz.
Can tobte auf der Bühne herum, nicht die eigentlich teenmäßigen Uriah Heep oder die peinlichen Ekseption.
Als Vorgruppe spielte die Lokalband mit dem frivolen Namen, die Sixty-Nine, die auch was mit der Organisation des Konzerts zu tun hatten.
Es war überwältigend: das erste richtige Konzert und dann die improvisierten Klangkaskaden von Can zur Zeit des Tago Mago Albums, der härtesten und wildesten Platte der Band, unterlegt mit dem Geschrei und den Wortsilben des Japaners Damo Suzuki.
Ich stieß in neue Hörwelten vor, der Weg zu Peter Brötzmann und John Zorn war offen. Damo Suzuki und Can haben mich vor einem Leben mit Suzie Quatro und Status Quo oder schlimmer noch Boney M gerettet. Ewig dankbar, rest in peace Damo!
Uwe Saßmannshausen
Between nothingness and eternity
The Mahavishnu Orchestra
Unser Freund und Vereinsmitglied Wolfgang Hetzler ist in der Nacht vom 19.8. auf den 20.8.2023 nach längerer Krankheit verstorben. Er fehlt uns. Er hat uns mit seiner Liebe zu Klaviertrios einen wichtigen Aspekt des Jazz nahe gebracht und das will in einem Verein, der es traditionell mit Gebläse und Stromgitarren hat, etwas heißen.
Wolfgang glaubte an keinen personifizierten Gott. aber die oben spirituell benannte Platte des Mahavishnu Orchestra findet sich in seiner Sammlung und irgendwo zwischen dem Nichts und Ewigkeit wird er ja wohl jetzt sein.
R.I.P. Wolfgang
Die Menschen im Verein UpArt e.V.
Forever Young
Es gibt eine ältere Platte/CD von Van Morrison mit dem Titel „The Philosopher´s Stone“. Wenn man sich diesen Stein der Weisen nicht als Dolmen, wie bei Van the Man, vorstellt, sondern als den Felsbrocken auf dem der Philosoph sitzt und über den Gang der Welt und seine Geschichte darin sinniert, sind wir bei Bob Dylan und seiner neuen CD „Shadow Kingdom“.
Die CD ist, wenn man den Bildern im Booklet trauen kann, im Lockdown entstanden und enthält nur Neuinterpretationen alter Titel. Sie soll mit Musikern/innen seiner aktuellen Band aufgenommen sein.
Die Musik ist eindeutig an Folk orientiert und insgesamt eher minimalistisch. Die Stimme ist wieder ziemlich gut, wahrscheinlich weil während der Coronakrise die Never Ending Tour zwangspausierte.
Auffällig ist der häufige Einsatz des Schifferklaviers, die der CD eine mexikanisch geprägte Note verleiht, ähnlich einiger Songs von Dylan aus der Zeit um den Film Pat Garrett & Billy The Kid und relativ kurz danach.
In dieser Zeit arbeitete Bob Dylan auch mit Grateful Dead zusammen und deren Idee bei Livekonzerten Titel ineinander übergehen zu lassen, wird auf dieser Veröffentlichung ebenfalls stark genutzt. Mir scheint, dass hier zumindest teilweise studiolive gespielt wurde.
Die Gestaltung des Booklets ist einfach und ansprechend, die Schrift krakelig, die Informationen gering, ähnlich wie man das beim spätem Neil Young erlebt.
Es handelt sich um ein melancholisches Spätwerk eines Seniors in den achtziger Jahren seines Lebens..
Was die Veröffentlichung faszinierend gut macht ist die durch Musik und Gesang (Sprache) transportierte philosophische rückblickende Grundhaltung der CD.
Man hört Bob Dylan beim Sitzen auf seinem Stein, die alten Texte vor sich hin sprechend oder singend, zurückhaltend musikalisch begleitet, sich dabei erinnernd, freuend oder auch trauernd, zu.
Er sieht sich selber beim Interpretieren alter Songs über die Schulter, denkt darüber nach und lässt uns dies auch noch miterleben. Wahrlich keine leichte Übung.
Dies funktioniert selbstverständlich leichter bei einem Song wie „Watching The River Flow“, aber eben auch, durch den distanzierenden Effekt, bei „Forever Young“.
Es gibt andere Beispiele eines grandiosen Spätwerks, z.B. David Bowie, Marianne Faithfull und Leonard Cohen, im Jazz fällt mir Ron Carter ein.
Ich wünsche mir für Bob Dylan noch einige Zeit und weitere Veröffentlichungen auf dieser Qualitätsstufe. Sein Eingang ins Reich der Schatten hat noch Zeit, auch wenn er ihn künstlerisch ins Auge nimmt.
Bob Dylan: Shadow Kingdom
Uwe Saßmannshausen, Ende Juni 2023
Peter Brötzmann ist tot.
Ich erfuhr es heute Vormittag; war in der Küche, hörte DLF Kultur und da kam doch ein Bericht über ihn. Oha dachte ich, aber wunderte mich – da hieß es, er war… er hatte … aus ‚Oha‘ wurde ein ‚Oh je‘ und die Traurigkeit hat mich gepackt. Im Laufe des Tages tauchten in den Medien immer mehr Nachrufe und Bedauernsbekundungen auf, Podcasts wurden reaktiviert und die einhellige Meinung ist, dass da ein ganz Großer von uns gegangen ist.
Dem kann ich mich nur anschließen, will aber nichts weiter über sein Leben, Werk und Wirken hinzufügen – das können andere bestimmt besser.
Ich möchte lieber persönlich und auch im Namen von UpArt e.V. Abschied von ihm nehmen. Inne halten und an all die Konzerte denken, die wir mit ihm hatten, erinnern und nachpüren.
Er war häufiger Gast beim AKUT-Festival und anderen Konzerten, die wir veranstalteten; so oft, wie kein anderer. Immer mit verschiedenen Mitspielern. Wir liebten das powervolle Gebrötze; wahrlich nicht jedermanns Geschmack. Aber er sagte selbst, es sei ihm egal, ob er vor 10 oder 1000 Leuten spiele.
Es war spannend, seine musikalische und auch persönliche Entwicklung über Jahrzehnte zu verfolgen.
Er blieb sich immer treu, war klar und auf seine Weise kompromisslos. Und das, was früher so hart und rausgeschrien klang, wandelte sich. Zunehmend waren auch leise Töne zu hören. Mehr zugewandt, sensibel und durchdringend bis ins Innerste, so dass mir (ich gestehe) ab und an die Tränen flossen. Ja, ich bin ein großer Fan von seinem Spiel – und je häufiger wir Kontakt hatten, auch von ihm als Mensch.
Denkwürdig waren für mich die letzten zwei Begegnungen.
Sein nachträglich gefeierter 80ster Geburtstag in Wuppertal. Ganz offensichtlich und von ihm auch benannt, war seine Kraft durch COPD gemindert – und es war so toll, wie alle Mitspieler:innen auf ihn eingingen, ohne ihre eigene Identität zu verleugnen. Rücksicht und Harmonie! Eigentlich nicht das, was man weitläufig mit ihm assoziierte. Aber ein gelungenes Geburtstagsfest.
Und dann diesen Januar in Weikersheim. Er fühlte sich unter Freunden im relativ kleinen Kreis – und so war auch das Konzert. Sehr intim, sehr offen , sehr geprägt von seiner Krankheit. Die letzte Zugabe endete mit 3(?) gehauchten Atemzügen. Da war vielen von uns klar: Das große Konzert ist beendet – alles was jetzt noch kommt, ist Zugabe.
Beim Frühstück erzählte er dann von seinen vielen Plänen. Er hatte noch so viel vor und hoffte selbst, durchhalten zu können. Japan war noch ein Wunschziel. Schade, dass er das nicht mehr geschafft hat.
Ja, wir haben mit ihm einen Großen verloren, einen der großartige Musik gemacht hat, einen der seinen Zuhörer:innen was zu sagen hatte und der viele Musiker:innen beeinflusst und (ich vermute) auch gefördert und gefordert hat. Nicht zuletzt einen, der mit wachem Auge das Musikgeschäft im Blick hatte und unserem Verein sehr zugetan war.
Wir bedanken und verneigen uns vor ihm.
Marlis Weißenberger (Vorsitzende UpArt e.V.)
23.06.2023
Melancholie
Neulich habe ich im unabhängigen, nichtkommerziellen und ehrenamtlichen Internetrockradio „Das Radio der von Neil Young Getöteten“ eine interessante Antwort auf die Kritik sie wären melancholisch gehört. Sie antworteten mit einer vollen Dröhnung Nick Cave und Gleichgesinnter.
Zur Info: Das Radio ist nach dem Buch von Navid Kermani genannt, hat den musikalischen Schwerpunkt im Bereich Americana und sendet definitiv für Altrocker/innen. Das Programm ist in der Tat melancholisch und Ihr findet den Sender, indem Ihr hier klickt.
Eine Prüfung meiner Musikbestände und auch Gespräche im Verein ergaben, dass es das bei uns auch häufig melancholisch zugeht, nur mehr im Sound von Jazz. Melancholie ist wohl eine Altersfrage.
Deshalb zwei Tipps für neue CDs unter dieser Ansage:
- Louis Sclavis: Les cadences du monde mit Louis Sclavis: Clarinets, Annabelle Luis: Cello, Bruno Durcret: Cello und Keyvan und Chémirani: Zarb und Daf.
Die Musik ist irgendwo zwischen Jazz, Weltmusik und E-Musik angesiedelt, ruhig entspannt und leicht melancholisch. Die Songstruktur wird mit überschaubaren Längen gewahrt, es gibt keine nervtötenden Endlosimprovisationen.
Ob man hierbei von imaginärer Folklore sprechen soll ist mir nicht klar, da ich bezweifle, dass die politischen Implikationen dieses Konzeptes noch tragen. - Burkard Kunkel & Bob Degen: Two geese by the river mit B. K.: Basset horn, Bass clarinet,Zither und B. D.: Piano, ein wunderbares herbstliches Produkt – bis hin zu Covergestaltung – zweier älterer Frankfurter Jazzmusiker.
Auch hier wird angenehm die Songstruktur gewahrt. Es wird eine Musik, die tief im Jazz verwurzelt ist, gespielt die einfach und gut ist, von älteren Musikern, die sich nichts mehr beweisen müssen. Bei einigen expressiveren Songs auf der CD höre ich Anklänge an das längst untergegangene Frankfurter Duo Goebbels/Harth, die bei uns im Verein sehr beliebt waren.
Die CD ist nur bei B.Kunkel oder nach Konzerten erhältlich (Burkard.Kunkel@gmx.de bzw. www.jazz-kunkel.de) und kostet 17.- €.
Da ich die Rechnungsnummer 9 hatte, kann ich nur zum Kauf ermuntern.
Uwe Saßmannshausen im Mai 2023
Listen to Africa
Nduduzo Makhathini aus Südafrika, Pianist und Sänger hat uns mit In the Spirit of NTU eine sehr schöne CD an der Grenze zwischen afrikanischen Rythmen und Jazz geschenkt.
Jazz bedeutet hier starke Einflüsse von Miles Davis Hurengebräu und noch mehr Dollar Brand/Abdullah Ibrahim. Neben der Besetzung piano and vocals, trumpet and fluegelhorn, saxes, vibraphones, drums and cymbals, bass treten Gastmusiker/innen mit ihren Stimmen und ihrem sax auf.
Insgesamt ist die CD eher im melodischen und rhythmisch durchstrukturierten Bereich verankert, ohne in easy listening abzurutschen. Die afrikanischen beats erweitern den Jazz, es gibt neue Stimmen zu entdecken.
Eine gelungene aktuelle Veröffentlichung!
Uwe Saßmannshausen im August 2022
Lesetipp: „Future Sounds – wie ein paar Krautrocker die Welt revolutionierten“ von Christoph Dallach
Der Suhrkamp-Verlag hat es wieder getan: Nach den Collagebüchern von Hans-Magnus Enzensberger: „Der kurze Sommer der Anarchie“ über den spanischen Bürgerkrieg und Buenaventura Durruti und Jürgen Teipels „Verschwende Deine Jugend“ über Punk in Deutschland, nun wieder ein Collagenwerk, diesmal zum Krautrock.
Christoph Dallach hat in „Future Sounds“ Veteranen und Wegbegleiter -auch einige, wenige Damen- interviewt und diese Texte zerschnippselt und unter verschiedenen Überschriften neu montiert.
Kategorien wie Kraut, Jazz, Wgs, 1968, Amon Düül, Can, Plank, Staatsfeinde und Für immer (always), um nur einige zu nennen, werden betextet und bebildert, das Ganze ca. 500 Seiten lang und ungemein spannend.
Zu den Wegbegleitern gehören nicht nur Manager, Journalisten und Plattenverkäufer, sondern auch Vertreter paralleler rebellischer Musik wie z.B. der in unserem Verein so beliebte Peter Brötzmann.
Klar wird im Buch, genauso wie ich es auch Anfang der 70ziger erlebt habe, dass Krautrock nichts Einheitliches war, aber doch etwas Anderes wie fast die ganze angloamerikanische Beat-Folk-Blues-Rock-Musik.
Hier spielt nach Aussage der Musiker die spezielle unerträglich behämmerte gesellschaftliche Situation in Nachkriegsdeutschland, einschließlich der verdrängten Nazibarbarei, eine Rolle, aber auch andere kulturelle Bezüge wie in GB und USA, bei Can z.B. Stockhausen.
Es war eine fast reine Männerwirtschaft. Im Buch kommen gerade fünf Frauen als Zeitzeuginnen vor:
Die Covergestalterin Gil Funccius, die Anarchofolkdadafreejazzerin Limpe Fuchs („Ich mache mein Sauerkraut immer noch selber.“), Suzann Doucet (Schluck!), Frau Henriette Krötenschwanz (Renate Knaup, Sängerin hauptsächlich bei Amon Düül II, aber auch bei Popul Vuh) und die unvergleichliche Hildegard Schmidt.
Letztere war die große Frau hinter den großen Jungs von Can, Managerin erst der Band, dann der Marke Can.
Nur einmal soll sie sich in künstlerische Angelegenheiten von Can eingemischt haben: Sie soll damals gegen die Jungs, die nur eine LP wollten, das Doppelalbum Tago Mago durchgesetzt haben. Dafür ewigen Dank!
Okay hiermit habe ich mich als Can-Fan geoutet. Ich habe Can als ca. 16jähriger in Mainz gesehen und danach sofort das Tago Mago Album gekauft.
Das Konzert war das erste Richtige, auf dem ich war, vorher war nur so Jugendzentrumszeugs, es hat mich musikalisch für mein Leben geprägt.
Zurück zum Buch: Krautrock schwankte zwischen extrem guten Können, eben z.B. bei Can, Embryo/Dissidenten/Missus Beastly oder auch Mani Neumeier und chaotischem und manchmal genialen Dilettantismus, hier z.B: Limpe Fuchs als Randfigur oder auch Amon Düül I.
Gleichzeitig gab es eine Differenz im Gebrauch von Electronics, auf der einen Seite die Berliner Schule und Kraftwerk, auf der anderen die doch sehr den Instrumenten verhafteten Embryo und Guru Guru, dazwischen Can und Popul Vuh.
Ein weiteres Element das im Buch benannt wird, ist die Erzählung vom Propheten der im eigenen Lande nichts gilt, sondern nur anderswo.
Dies mag von den Umsätzen der verschiedenen Bands her betrachtet durchaus zu vertreten sein. Trotzdem möchte ich hier leise widersprechen: Ihr wart in Deutschland nicht allein!
Was in dem „Future Sounds“ nicht klar wird, es gab einen Unterbau in der BRD, nicht nur bei den Fans, sondern auch auf der Ebene des Musikmachens.
Das ist jetzt meine Geschichte in Mainz, aber ich gehe davon aus, dass sie auf andere Städte übertragbar ist.
Die Herren außer meiner Klasse (keine Damen, also auch wieder Männerwirtschaft) mit denen ich das Can Konzert in Mainz besuchte, hatten eine Band namens Plasma (Bass, Gitarre, Schlagzeug und elektrisches Zeug) und versuchten sich in Spacerock, ich selber spielte Bongo bei Jagdgesellschaft Wildsau Ahoi (Shehnai, später Querflöte, einmanualige Elektroorgel und Bongos) die sich, wie ich später herausfinden durfte, im Fahrwasser von Paul und Limpe Fuchs bewegten, bei uns ohne Stimme wie übrigens häufig im Krautrock, trotz Frau Krötenschwanz und Herrn Suzuki.
Ob Plasma jemals einen Auftritt hatte, ist mir nicht mehr bekannt, wir hatten irgendwann einen Gig. Verstärkt um einen jungen Mann an der Gitarre spielten wir auf einem Jugendgottesdienst (Sic!). Zu unserer Ehrenrettung: es gab auch einmal einen Versuch mit einer Schwarzen Messe, so nach Spooky Tooth und Pierre Henry auf Ceremony, das Event fand unter dem Motto schlechter Rotwein für Blut im Schullandheim statt und der Teufel ließ sich nicht blicken.
Diese Geschichte endet mit bürgerlichen Berufen vom Arzt über den Geschäftsführer bei der Diakonie bis zum Flaschensammler.
Aber wir haben es probiert, so lausig und dilettantisch es war.
Bei einer Band im Buch endete die Geschichte ähnlich: Erst Soul Caravan, dann Xhol Caravan, zuletzt Xhol, hier verkauft ein Ex-Bandmitglied als Rechtsanwalt und Notar Eigentumswohnungen, ein anderes Mitglied saß mit seiner Querflöte in der Wiesbadener Fußgängerzone.
Ich habe irgendetwas von einer Reunion, wohl im Amateurformat, auf die alten Tage gelesen.
Aber meine These vom Ihr wart nicht allein hat auch eine internationale Komponente, auch wenn ich den Bezug auf die bundesrepublikanische Misere nur unterstreichen kann.
Es gab außer Zappa und Pink Floyd auch noch andere gewagte Musik weltweit. Ich nenne, ein bisschen aus der zweiten Reihe, stellvertretend Magma und Gong in Frankreich und vor allen Dingen die Plastic People of the Universe in der damaligen CSSR, die hatten es wirklich schwer.
Also lest „Future Sounds“ und wenn ihr älter seid, gleicht es mit Euren Erinnerungen ab!
P.S.: Noch ein Lesetipp im Lesetipp: Sven Regener hat mit „Glitterschnitter“ einen weiteren Berlin-Roman in der Zeit kurz vor dem Mauerfall vorgelegt, mit dem bekannten Personen.
Das Buch ist brillant geschrieben, die Anekdoten haben große Fallhöhe, dem Personal wird in der psychologischen Konstruktion vertraut und kuriose Ideen werden konsequent bis ins Chaos weiterverfolgt, kurz beste Neue Frankfurter Schule.
In dem Buch darf die Band Glitterschnitter mit einer entsprechend starken Bohrmaschine einen Betonblock bespielen, im realen Leben hat das Faust in England wirklich gebracht. Dies wird in „Future Sounds“ erwähnt, ich denke Sven Regener kennt die Geschichte.
Die jetzigen Vertreter der NFS haben in der Titanic Sven Regeners Werk gelobt, was sehr in Ordnung geht.
Sie unterstellen dabei dem Romanpersonal Lebensuntüchtigkeit, was möglicherweise im Titanic-Kontext ein Lob ist, aber trotzdem fragwürdig, denn erstens ist das Nämliche logisch betrachtet das Wesen jeder Romanfigur und zweitens wenn ich an die frühen Achtziger im Rhein-Main-Gebiet denke, speziell an den Ersatz von Sandino-Dröhnung im Henkelpott durch Milchkaffee in der Bol, was ich alles über den Rand meiner Teetasse beobachten durfte…. .
Sagen wir es so: Wichtige gesellschaftliche Veränderungen sind immer schwierig, aber im Hinblick auf Lebensuntüchtig gesehen, die Überlebensquote bei uns ist zufriedenstellend hoch. Es sind noch genug Leser und Leserinnen für beide Bücher vorhanden.
Uwe Saßmannshausen, Jahresbeginn 2022
Solo in Zeiten von Corona
Es ist eigentlich kein Wunder, dass in Corona-Zeiten Solo-CDs erscheinen. Im Folgenden seien zwei Neuere davon empfohlen:
Erstens an der Gitarre Joe Sachse Solo: Die kleine Freiheit. „Die große Freiheit ist es nicht geworden. Es hat beim besten Willen nicht gereicht … die kleine Freiheit – vielleicht! …“ (Erich Kästner). Unter diesem Motto steht die neue Solo-CD von Joe Sachse, der früher einmal der Jimi Hendrix der DDR genannt wurde.
Er zeigt auf ca. 75 Minuten was er alles allein auf der Gitarre kann und das ist eine Menge. Besonders hat es mir seine Interpretation von You Know You Know von John McLaughlin angetan, im Original auf der Inner Mounting Flame mit dem Mahavishnu Orchestra zu hören.
Hier setzt auch eine leise Kritik von mir an Sachses CD an: zu viel, zu gut, manchmal auch zu schnell.
Ähnliches habe ich auch früher bei John McLaughlin Konzerten gespürt, z.B. mit Shakti. Ich schlage vor die 18 Titel der CD in zwei Neuner-Päckchen zu hören.
Zuletzt noch ein weiteres Zitat, dass Joe Sachse am Herzen liegt und im Booklet der CD abgedruckt ist: „Der Ästhet verhält sich zur Schönheit wie der Pornograph zur Liebe und der Politiker zum Leben.“ (Karl Kraus).
Zweitens mit der Posaune Nils Wogram Solo: Bright Lights. Obwohl Soloposaune, das Instrument von N. Wogram, eigentlich den Verdacht einer gewissen Sprödigkeit hervorrufen könnte ist hier alles einfach und klar, nur das Instrument und ein bisschen Stimme, gerade mal 8 Stücke und 34 Minuten, ein wunderbar ruhiges, angenehmes keinesfalls sprödes Hörerlebnis.
Möglicherweise ist bei dieser zweiterwähnten CD die Stille als musikalischer Parameter mehr mit bedacht wie bei der Erstgenannten.
Zu Ende noch ein Zitat, wiedergefunden auf der CD Dissidenten – How Long Is Now? anlässlich einer Kneipendiskussion um Zapfenstreiche: „Military justice is to justice what military music is to music!“ Das ist von Groucho Marx und passt gut zu den vorherigen Zitaten.
Uwe Saßmannshausen im Dezember 2021
CAPITOL & PALATIN erhalten
Das PALATIN soll abgerissen werden, das CAPITOL stünde damit ebenfalls vor dem Aus. Helfen Sie, die letzten Mainzer Programmkinos zu retten!
Das Ziel ist es, 5.000 Unterschriften zu sammeln und dafür brauchen wir Unterstützung. Hier kannst du mehr über die Petition erfahren:
Petition · CAPITOL & PALATIN erhalten! · Change.org
Von Max Roach zu Damon Locks Black Monument Ensemble
Es gibt in den USA eine Tradition von mehr oder weniger freier Ensemblemusik im Genre Jazz und Verwandtes mit einer klar antirassistischen Tendenz, die auf Befreiung zielt. Hierzu gehört das Charlie Haden Liberation Music Orchestra und nur von people of colour als Mitgliedern das Art Ensemble of Chicago, das Sun Ra Arkestra, die Last Poets, die Black Voices uvam. . Mein persönlicher Favorit aus diesem Segment ist die Freedom Now Suite von Max Roach mit einer unfassbar wütenden und ihre Wut herausschreienden Abbey Lincoln. Geht zu eurem CD- und/oder Plattenregal sucht und hört Euch dann die Aufnahme von 1960 wieder einmal an.
In der Gegenwart tritt das Black Monument Ensemble von Damon Locks, einem amerikanischen Künstler in verschiedenen Sparten, in diesen Traditionsstrang ein. Auf der neuen CD Now, motiviert durch die back lives matter Bewegung einerseits und die rassistischen Morde in den USA andererseits, hören wir eine Melange aus afrikanischen Klängen, Jazz,Sounds und viel Gesang, der vom Chor dominiert wird. Auf der Bühne wird die Musik von Tanz ergänzt. Deshalb mein Tip nicht nur die neue CD erstehen, sondern auch Videos von Liveacts z.B. in der Tube sehen. Das Konzept des Ensembles hat eine stark theatralische Komponente. Zum Klangbild: Dies ist insgesamt melodischer wie bei den vorgenannten Ahnen, hierbei mögen die afrikanisch-folkloristischen Einsprengsel ein Rolle spielen.
Ich befürchte, dass Damon Locks und das Black Monument Ensemble erst einmal nicht in Deutschland zu hören und sehen sein werden und mit Sicherheit sind sie für UpArt eine Nummer zu groß. Ich hoffe die Show dann irgendwann doch noch im Rhein-Main-Gebiet zu sehen und kann bis dahin nur auf Tonträger und Videos verweisen.
Uwe Saßmannshausen Juli 2021
Peter Hollinger – 1954 bis 31. 05. 21
Am 31. Mai 2021 ist der 1954 in Zweibrücken geborene Schlagzeuger, Perkussionist und Geräuscheanarchist Peter Hollinger in Berlin verstorben.
Das erste Mal habe ich ihn 1986 als Schlagzeuger von Gestalt et Jive zusammen mit Alfred Harth und Ferdinand Richard auf dem Sommerfest der Uni Mainz gesehen, dann auf dem Akut I 1987 mit seiner Koffersuite und dann 1998 auf dem Akut X mit der Koffersuite Revisited.
1998 hat er einige Tage bei mir gewohnt, die Gelegenheit, nicht nur den abgedrehten Rhythmus- und Lärmmacher sondern auch den Menschen Peter Hollinger ein wenig näher kennen zu lernen, er war humorvoll und verfügte über eine gehörige Portion an Selbstironie.
Die Koffersuite, eine halbstündige Klang Performance mit Alltagsgegenständen, die alle in einen, nicht sehr großen, Koffer passten, das war seine Interpretation von Minimal Music.
Peter Hollinger war als Schlagzeuger und Perkussionist sehr offen für ganz unterschiedliche Arten von Musik, er war Schlagzeuger bei der Punkband Platzlinger, eher jazzig gemeinsam mit dem Saxofonisten Dietmar Diesner mit den Berlintouristen unterwegs, noisig und eher frei mit Slawterhaus und im Duo mit dem Schlagzeugerkollegen Mani Neumeier, Etiketten zählten für ihn nicht.
Es gab zahllose Projekte u. a. mit Jon Rose, Wädi Gysi, Tom Cora, Elliott Sharp, Fred Frith, David Moss, Steve Beresford, Conrad Bauer, Ned Rothenberg, Alexander von Schlippenbach, Heiner Goebbels und dem schon erwähnten Alfred Harth, der Crème de la Crème der freien Musik, des Jazz und der Rock-Avantgarde.
Nach den Neunzigern habe ich ihn dann ein wenig aus den Augen verloren, gelegentlich hörte ich von in Berlin lebenden Musikerkollegen, dass er noch in Berlin sei, aber sehr zurückgezogen in finanziell prekärer Lage in Kreuzberg lebe und gelegentlich Unterstützung von Kollegen erhalte.
Peter hat sich in seiner Wohnung in der Adalbertstraße am 31, Mai das Leben genommen, aus Angst vor einer Räumungsklage wegen Eigenbedarf.
Du fehlst Peter, R.I.P.
Norbert Brunner, Juni 2021
Koffersuite Part 1, Akut I
Koffersuite Part 2, Akut I
Koffersuite Part 3, Akut I
Deutscher Jazzpreis 2021
Der Deutsche Jazzpreis wird am 3. Juni verliehen. Das Event wird als Livestream übertragen und wir alle sind gespannt, wer die Sieger sein werden.
Es wurden 81 Nominierungen aus 11 Kategorien vorgenommen. Und eigentlich drücken wir von UpArt jedem und jeder die Daumen.
Nicht nur, weil der Preis eine große Auszeichnung und Würdigung ist – und btw auch etwas Geld rausspringt – sondern auch weil wir vom Schaffen und der Leistung der meisten Jazzer*innen überzeugt sind. Viele sind uns ja persönlich bekannt wie z.B. Angelika Niescier, Christian Lillinger, Robert Landfermann und Jaimie Branch. Wir hatten sie hier in Mainz zu Gast und sie spielten alle auf einem der letzten AKUT-Festivals.
Und wenn uns Corona keinen Strich durch die Rechnung macht, werden alte und neue Bekannte (auch aus der Nominierungsliste) auf dem AKUT #23 aufspielen.
Genaueres werden wir rechtzeitig bekanntgeben, aber den 19. und 20. November 2021 kann man sich ja schon mal vormerken.
Der Livestream zur Nominierung wird am 3. Juni ab 19:30 Uhr von NDR Kultur, BR-Klassik und rbbKultur übertragen. Ausschnitte sind nach der Verleihung auf ARTE CONCERT verfügbar
Infos zum Jazzpreis unter https://www.deutscher-jazzpreis.de/ oder auch https://jazzpages.de/deutscher-jazzpreis-2021-die-nominierten/
Aktuelles und historisches zum AKUT-Festival gibt es unter https://akut-festival.de/ oder über unsere Homepage ttps://www.upartev.de/festival/
You don´t need a weatherman to know which way the wind blows (Bob Dylan)
stand auf dem Schulpult gekritzelt und mein Nachbar, Oberschulhippie bis ins Mark, interpretierte Carlos Castaneda-Mystik hinein. Ich musste ihn enttäuschen und verwies auf die gängige Lesart, dass dies ein politisches statement Bob Dylans gegen die weathermen sei. Da habe ich jemand ziemlich frustriert. Zur Erinnerung: Die weathermen waren so was wie die amerikanische RAF. Mir hat die Aussage von Dylan gefallen. Seitdem habe ich ihn immer wieder gerne gehört.
Besonders seine Kooperation mit den Grateful Dead hat es mir angetan.
In the land of dark the ship of fools will be piloted by the Grateful Dead, dieser Satz über die Deads, irgendwo als Graffiti gefunden, hat mich immer mystisch/poetisch angeturnt. In der Zusammenarbeit Dylan/Deads besticht vor allem Knockin on heaven´s door, logisch wenn man mit einer Band spielt die den Tod dankbar und willkommen findet. Wirklich Trost angesichts des Todes spendet aber die Originalfassung auf dem soundtrack zu Pat Garrett & Billy the Kid.
Bei einem Musiker und Sänger, der einem durchs Leben begleitet gibt es natürlich favorites.
Momentan:
– Lieblingstitel: Girl from the north country, in Stunden der Trauer Knockin on heaven´s door
– Lieblingsplatten: Desire, Dylan &The Dead
– Lieblingscoverversions: All along the watchtower in den Neil Young-Fassungen mit Chrissie Hynde einerseits und Pearl Jam andererseits.
Herzlichen Glückwunsch zum 80sten Geburtstag Bob Dylan!
Uwe Saßmannshausen
Klaus Mümpfer, geboren 1942, gestorben am 17. April 2021, eine persönliche Erinnerung
New Jazz Meeting, damals noch Baden-Baden New Jazz Meeting „live“ in Mainz, am 30. November 1979 im Kurfürstlichen Schloss in Mainz, Impresario war Joachim-Ernst Berendt, Chef der Jazzredaktion in
Baden-Baden, damals war der AStA der Uni Mainz noch Veranstalter vor Ort.
Gerd „Kaufi“ Kaufmann war Kulturreferent im AStA und hatte mich gefragt, ob ich Lust hätte, ein wenig bei der Organisation zur Hand zu gehen.
Was für eine super Gelegenheit ganz nahe an großartige Musiker heranzukommen und auch direkt mittendrin zu sein.
Angesagt war ein Clarinet Summit u. a. mit Theo Jörgensmann, Perry Robinson, John Carter, Ernst-Ludwig Petrowsky, Didier Lockwood, JF Jenny-Clark, Aldo Romano und Günter „Baby“ Sommer…was für ein Lineup…was für ein Getöse später dann auf der Bühne.
Am späten Freitagmorgen kam dann der Tross aus Baden Baden, wo drei Tage lang das Programm für das New Jazz Meeting erarbeitet wurde.
Und dann war da noch ein nicht sehr großer Mann mit einer Bildermappe mit vielen Schwarz-Weiß-Fotos der Musiker, die er in den drei Tagen Baden-Baden gemacht hatte, um am späten Donnerstagabend nach Nieder-Olm zu fahren, wo die Bilder in der Nacht zum Freitag noch entwickelt und vergrößert werden mussten,
um sie dann den Musikern zu zeigen, zu schenken und zum Teil von ihnen signieren zu lassen.
Er hatte eine ausgesprochen angenehme Art, war zuvorkommend, freundlich und aufgeschlossen gegenüber jedermann und er liebte den Jazz und seine Protagonisten.
Ich habe ihn dann noch oftmals getroffen, bei vielen Konzerten, beim Akutfestival, im KuZ, im Frankfurter Hof, auf dem Frankfurter Jazzfestival und es war immer schön ihn zu treffen und ein paar Worte zu wechseln.
Das letzte Mal, wo ich ihn bei seiner Lieblingsarbeit, dem Fotografieren, für ihn war es ein sichtbares, wenn auch konzentriertes Vergnügen, getroffen habe, war bei einem Konzert, bei dem ich ihn nicht unbedingt
erwartet hätte, 2014 beim Konzert von Helmut Hattler in Nieder-Olm im Gleis 3.
R.I.P. Klaus, you are missed.
Norbert Brunner, April 2021
Aufruf
Anstelle von Kränzen oder Blumen bitten die Angehörigen um eine Spende für die derzeit notleidenden Jazzmusiker unter Förderkreis Jazz e. V., Stichwort „Coronahilfe“, IBAN DE14 3705 0198 0007 5234 83, Sparkasse Köln/Bonn.
Doppelbesprechung: Eva Klesse Quartett: Creatures & States und Lucia Cardotsch: Speak low II
Eva Klesse ist eine junge deutsche Professorin für Schlagzeug an der Uni Hannover und Leaderin eines nach ihr benannten Quartetts mit Evgeny Ring saxes, Philipp Frischkorn piano, Stefan Schönegg bass und sie selber an den drums. Wer sich hier nun vorstellt, dass auf einer CD einer Drummerin tüchtig draufgehauen wird, liegt falsch. Die Schlagzeugbeiträge sind insgesamt sehr zurückhaltend, manchmal kaum zu hören, gelegentlich agieren die drei anderen Musiker als kammermusikalisches Trio. Eva Klesse hält sich auf ihrer CD hörbar zurück. Die Bemerkung mit der Kammermusik erfolgt, da die Veröffentlichung den Autor manchmal an moderne E-Musik erinnert. Die Parameter Harmonie und Melodie spielen auf der CD eine wichtige Rolle. Die vermittelte Grundstimmung ist melancholisch. Es heißt, die CD sei kurz vor Coronakrise und dem ersten lockdown aufgenommen, in diesem Sinne ist sie in ihrer Grundierung prophetisch.
Lucia Cardotsch knüpft mit Speak low II an der Vorgänger-CD Speak low (I) an (siehe diese Website), sogar nahtlos, auch wenn dies eine Phrase ist. Wieder werden Standards (plus ein Titel von Eno and friends) eher klassisch gesungen und modern bis frei unterlegt, bei wesentlich unveränderter Besetzung. Es gibt bei II kleine Beiträge von Gastmusiker/innen. Im Grunde genommen liegt jetzt insgesamt eine Doppel-CD vor und es steht zu hoffen, dass man diese Musik demnächst in Mainz live hören darf. Genug Stoff für ein Konzert liegt ja jetzt endgültig vor. Es muss nur noch die Seuche zurückgedrängt werden. Nach dem Konzert darf sich Lucia Cardotsch gerne neuen musikalischen Ufern zuwenden.
Fazit: Zwei sehr hörenswerte CDs zweier Bandleaderinnen,
Uwe Saßmannshausen, Anfang Feb. 2021
Hass, Melancholie und Monotonie, kurz Corona
Die ersten Veröffentlichungen, die sich unter Corona subsumieren lassen, liegen vor. Drei Beispiele die unter Hass, Melancholie und Monotonie, Gefühle und Stimmungen, die zu Corona passen, wiedergeben, werden hier angesprochen. Hass würde hier besser als Wut buchstabiert, aber Hass ist im Titel einer der CDs aufgerufen.
Da ist also Hate for Sale, das neue ultrakurze Album der Pretenders. Die stramm auf die 70 zugehende Chrissie Hynde singt sich die Seele aus dem Leib und ist immer noch die wütende Frau der Branche. Auf neun Titeln lärmt es in bester Punk-, New Wave- und Crazy Horse-Manier. Abgerundet wird das Album durch Crying in Public, eine Ballade, die gerne von Marianne Faithfull gecovert werden kann, wie damals Private Life von Grace Jones. Der Titelsong Hate for Sale, über unausstehliche Exemplare meines Geschlechts, ist möglicherweise auch eine Hardcoreanswer auf satirische Songs von Ray Davies von den Kinks über dasselbe Thema.
Dann noch einmal Chrissie Hynde zusammen mit ihrem Gitarristen James Walboune. Sieben Dylan Covers unplugged unterlegt mit Filmen aus dem Lockdown, hauptsächlich aufgenommen auf dem Lande, sehr langsame Kameraführung, melancholisch und berührend, das sind die Dylan Lockdown Series.
Es geht ruhig zu und distanziert, Menschen, die anscheinend auf einer Farm in British Countryside zusammenleben, schreiben sich Briefe und skypen miteinander; körperliche Berührungen sind eher selten, dafür berühren die Bilder die Seele mit Trauer und Melancholie über den Verlust der Nähe. Mir erscheinen die Filme wie eine Illustration zum Corona-Statement der Berliner Theoretikerin Sabine Hark: Durch Verwundbarkeit verbunden. Meine Favoriten: Don´t fall apart on me Tonight mit Bildern von Black Lives matter Aktionen im Lockdown in der britischen Provinz und Blind Willie McTell mit Filmsequenzen aus dem amerikanischen Süden, die Stimme von Chrissie Hynde hier ganz nahe an Julie Driscoll. In beide Filme sind passende Tanzsequenzen integriert. Alle sieben Filme sind über Youtube veröffentlicht, momentan sechs davon auch über die Homepage der Pretenders abrufbar.
Zuletzt Chris Abrahams piano and organ, Tony Buck drums und Lloyd Swanton basses, kurz die Necks mit ihrem vor wenigen Tagen erschienen Album Three. Das bedeutet weiterhin repetitive, zirkuläre, fast monotone an Minimal Music gemahnende Stücke, diesmal im Vergleich zum Konzert der Band auf dem AKUT vor Jahren, stärker variierend in Klangfarbe bzw. Sound. Kurz die Necks sind sich treu geblieben, auch wenn sie ihr Hauptquartier vom damaligen Berlin wieder zurück in die australische Heimat verlegt haben. Für Menschen, die etwas mit dem Wort anfangen können, Ambient kann weiterhin über diese Musik gesagt werden, trotz der drums.
Uwe Saßmannshausen Anfang Sep. 2020
Peter Green ist tot und dem Albatros geht es auch nicht gut
Am 25.7.2020 verstarb der großartige Blues-Gitarrist Peter Green, vormals Peter Allen Greenbaum, ein jüdisches Arbeiterkind, das sich gezwungen seinen Namen in P.G. zu ändern um als Jugendlicher antisemitischer Anmache zu entgehen.
Ob wohl eigentlich Bluesmusiker, mit wenigen grandiosen Jahren Ende der 60ziger, u.a. bei John Mayall und natürlich mit seiner eigenen Band Fleetwood Mac, ist sein Name auf immer verbunden mit dem Instrumental Albatross (engl.) zur Würdigung und musikalischen Beschreibung des majestätischen Seevogels, der hauptsächlich in der Südsee lebt. Zum Albatros (deut.): „Laut einem NABU-Bericht aus dem Jahr 2020 sterben jährlich weltweit mehr als 300.000. Seevögel (davon etwa 100.000 Albatrosse).“ (Wikipedia). Als Grund werden Landleinen in der Fischerei genannt. „Jede der 22 Albatros-Arten steht auf der Liste bedrohter Tiere.“ (WWF-Schweiz).
Allein Greenys Song Albatross reicht für die Ewigkeit, aber da gibt es auch noch Black Magic Woman, weltbekannt gemacht worden durch das Cover Carlos Santanas und um einen seiner vielen Bluessongs zu nennen Rattlesnake Shake. Zu den Klapperschlangen vermeldet Wikipedia: „ … Bestandszahlen … stark rückläufig.“
Stark rückläufig waren die Dinge ab 1970, Stichwort zu viel LSD und draus resultierende psychische Probleme. Die Legende nennt in diesem Zusammenhang Rainer Langhans und Uschi Obermaier und Gespielinnen als mitverantwortliche Veführer/innen. Letztlich hat Greeny aber das Zeug selber eingeworfen. Die damals erschienene LP The End of the Game ist vorsichtig formuliert kalt, der Titel leider prophetisch. Es sollte nie mehr so gut laufen wie kurz vor 1970, die von Peter Green erträumte Öffnung seiner Musik in Richtung Grateful Dead kam nie zustande. Auch bei der faktischen early Fleetwood Mac Revivalband Splinter Group um die Jahrtausendwende stand P.G. häufig nur als Publikumsfänger auf der Bühne. Beim Konzert in Mainz hatte der Autor den Eindruck, dass Peter Green der Saft weggedreht wurde und der zweite Gitarrist seinen Part übernahm.
Es ist eine traurige Welt. Goodbye Greeny!
Uwe Saßmannshausen, August 2020
Lesetipp: David Byrne – Wie Musik wirkt
„… stellen wir uns einen von wilden Begierden und inneren Dämonen getriebenen Rocksänger vor, aus dem in einer Art inspirierter Eruption diese unglaublichen, perfekt geschliffenen Songs hervorbrechen, die rein zufällig alle drei Minuten und zwölf Sekunden lang sind. Das ist eine sehr romantische Vorstellung davon, wie Kunst entsteht. Ich bin mittlerweile davon überzeugt, dass es genau andersherum läuft. Ich glaube, dass Künstler instinktiv und unbewusst so arbeiten, dass das Ergebnis zu bereits vorhandenen Formvorgaben passt.“ (S.13). Über diese Formvorgaben lässt sich David Byrne in „Wir Musik wirkt“ über 421 Seiten plus Anhang aus. Zugegeben nicht gerade kurz, aber in Zeiten von Coronalangeweile durchaus machbar und durchgehend erhellend. Der lockere, leicht ironische Schreibstil hilft hier ungemein, man merkt, dass hier der Autor großer Songs der Talking Heads zu Werke geht, er doziert nicht, er erzählt. Wir lernen auch Kurioses, bspw. unter der Überschrift „Musik und Ritus“dass wir für die „Ordnung unseres Gemeinwesens Lieder für eine Vielzahl sozial relevanter Gelegenheiten entwickelt haben.“ Hier wird z.B. genannt, Eltern werden danach lechzen, „Lieder fürs Toilettentraining; Lieder zum Übergang in die Pubertät, …“. Soweit Byrnes Zusammenfassung des Musikethnologen Alan P. Merriam. Er selberkommentiert trocken zu den Toilettentrainingsliedern: „Die will ich unbedingt mal hören!“ (Alle Zitate hierzu S. 405).
Die vorgenannten Formvorgaben können die Architektur der Clubs (hier erfahren wir u.a. viel zum CBGBs) und Hallen, der Stand der Aufnahmetechnik und des Instrumentenbaus, der Zweck der Aufnahme, die Ökonomie (hierüber lässt sich David Byrne lange aus), naturwissenschaftliche und musikstrukturelle Begebenheiten, nur schwer zu überwindende kulturanthropologische, religiöse und gesellschaftliche Strukturen, politisch-ideologische Vorstellungen u.v.a.m. sein. Puuh, das erschlägt einem fast, aber keine Angst der Text bleibt wie gesagt immer gut lesbar und es zeigt sich, dass am Schluss immer noch genug Platz für Kreativität bleibt. Wie sollt es auch beim legendären Frontman der Talking Heads anders sein.
Zuletzt ein Tip: Wenn man das Buch liest, dann auch die alten Platten der Talking Heads wieder hören und vor allen Dingen: Brian Eno – David Byrne: My life in the bush of ghosts.
Uwe Saßmannshausen Ende April 2020
P.S. Im Buch wird auch Musik angesprochen, die selbst hartgesottene AKUT-Fans verstören dürfte. Ein Bsp.ist die Band Sunn O))): „Die in Druidenroben steckenden Musiker standen mit ihren Gitarren vor einer Wand aus übereinandergestapelten Verstärkern und erzeugten ein monströses lautes Gitarrendröhnen, das über die Köpfe der Besucher hinwegbrandete, langsam anschwoll und dann wider abebbte. Es gab keine Drums, keine Songs, zumindest nicht nach unserem gängigen Verständnis.“ (S.415). Die Aufführung, die David Byrne erleben durfte, fand in einer ehemaligen Kirche statt. Ich habe mir Sunn O))) auf Youtube angesehen, hier mein Kommentar: Um die Kirche im Dorf zu lassen, der Gott der Musik prüft seine Jünger manchmal schwer.
Lee Konitz ist tot
Gestorben am Virus mit 92 Jahren in New York. Mit seinem Spiel am Alt-Saxofon hat er Großes geleistet.
In seinem Leben als Jazzer entwickelte er sich vor seinem Hintergrund im Cool in verschiedene Richtungen: vom eher gefälligem Big-Band-Jazz bis zur Zusammenarbeit mit Anthony Braxton, immer auf hohem Niveau.
92 Jahre ist ein hohes Alter, aber in einer Welt besserer medizinischer Versorgung hätten ihm trotzdem noch einige Zeit zum Spielen vergönnt sein könne und uns zum Hören.
Für die Freunde und Freundinnen unseres Vereins ein Tip: Lee Konitz hat sich gerne mit Solos und Duos beschäftigt. Ich schlage zum Hören und Eingedenken „Lee Konitz / Albert Mangelsdorff: The art of the duo“ vor.
Ein Dank für das Lebenswerk von Lee Konitz, wo immer er jetzt sein möge!
Uwe Saßmannshausen 19.04.2020
Elliot Galvin: Modern Times
2019 erschien die CD Modern Times des Eliot Galvin Trios, einer noch jungen Formation mit Eliot Galvin Piano, Tom McCredie Bass und Corrie Dick Drums.
Die Band stammt aus GB, auf dem Cover des Tonträgers ist noch made in the EU vermerkt.
Die CD hat klassische LP-Länge, die Songs sind von traditioneller Dauer von 3 bis 6 Minuten. Komposition und Improvisation sind verschränkt, die Musik manchmal etwas spröde.
Gespielt wird moderner Jazz mit Ausflügen in Richtung moderner E-Musik. Es finden sich rhythmische und zirkuläre Passagen und Momente von großer Dynamik. Das Klangbild entspricht nicht dem klassischem Barjazz in melodisch linearen Strukturen, es finden sich stattdessen Anklänge des Atonalen: Durch die Songstruktur bleibt die Musik aber gut hörbar.
Das Bild das die Musik im Kopf des Rezensenten erzeugt ist weit weg von happy go lucky, der Bauch wird eher nicht angesprochen. Die technischen Fähigkeiten der Musiker sind exzellent, der Autor dieser Zeilen konnte sich davon auch live überzeugen.
Fazit: This is the time and this is the record of the time.
Uwe Saßmannshausen
Doppelbesprechung Howe Gelb: Gathered und Lucia Cadotsch: Speak Low
Diese beiden CDs sind in verschiedenen Genres unterwegs, trotzdem einigen sie vier Dinge auf die ich weiter unten zu sprechen komme.
Howe Gelb, amerikanischer Singer/Songwriter und Ex-Mastermind von Giant Sand, hier mit einer eigenen Produktion unterwegs, führt uns mit Gathered in die Welt von Leonhard Cohen, Tom Waits und Lou Reed, aber mit seiner eigenen unverwechselbaren Reibeisenstimme, karg instrumentierte Folkmusik mit Einsprengseln von Rock und Jazz.
Gelegentlich wird er von Gastsängerinnen unterstützt, u.a. von der Nouvelle Vague Ikone Anna Karina und Tochter Talula.
Die Schweizer Sängerin Lucia Cadotsch zusammen mit Otis Sansjö am Tenorsaxophon und Petter Eldh am Bass interpretiert das great american songbook auf Speak low neu.
Der Dreh an ihrer Produktion ist, dass eigentlich eher traditioneller Jazzgesang von den beiden Instrumentalisten mit aus freiem Spiel bekannten Tönen unterlegt wird, was einen reizvollen Kontrast bildet.
Die Songs werden aus einer abgeleierten Barjazzecke herausgeholt und angenehm modernisiert.
Was nun beide CDs eint ist die musikalische Qualität, der gemeinsame leicht melancholische Mood und die eher leisen Töne, was beides gut zur Zeit passt.
Zuletzt findet sich auf jedem Werk eine gelungene Interpretation von Moon River, auf der Gelb-CD interpretiert von Tochter Talula, von der wir hoffentlich noch viel zu hören bekommen werden.
Uwe Saßmannshausen